(R)evolution in der Nutzfahrzeugindustrie

(15. April, 2020) DI Dr. Georg Pachta-Reyhofen, Branchenexperte, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der MAN SE und nun Aufsichtsratsmitglied der SAG Group im Interview:

Welche Entwicklung sehen Sie in Hinblick auf alternative Antriebssysteme in der Nutzfahrzeugbranche?

Zu erwartende strengere EU-weite CO2-Richtlinien und die steuerliche Bevorzugung der E-Mobilität verstärken den Druck auf die Entwicklung von CO2-neutralen Antrieben auch für Nutzfahrzeuge. Ein Trend, den ich differenziert betrachte, denn die Batterieherstellung für Elektromotoren ist extrem energieaufwändig. Erst nach etwa 100.000 gefahrenen Kilometern übersteigt die CO2-Emission eines Mittelklasse-PKWs mit modernem Dieselmotor jene, die im Zuge der Batterieherstellung entsteht. In der CO2-Bilanz ist auch die Stromerzeugung für den laufenden Betrieb mit zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die erreichbare Energiedichte ist das Gewicht der derzeit eingesetzten Batterien relativ hoch – eine chemische Speicherung von Energie ist da deutlich effizienter. Die Zukunft der E-Mobilität sehe ich daher eher im städtischen Bereich, wo geringere Reichweiten kein Problem sind. Im Nahverkehr rechne ich zudem mit einem verstärkten Einsatz von LKWs und Bussen, die mit LNG oder CNG betrieben werden.

Welche Rolle werden andere alternative Treibstoffarten einnehmen?

Die Entwicklung alternativer Antriebssysteme und Kraftstoffe läuft insbesondere in Asien und Europa bereits auf Hochtouren. Ich bin davon überzeugt, dass im Fernverkehr Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen wird. Die strategische Bedeutung von Wasserstoff als Treibstoff zeigt sich auch daran, dass Länder wie Japan, China, Südkorea, Deutschland, die Schweiz sowie eine supranationale EU-Allianz einen Forschungsschwerpunkt auf H2 legen. Das Fantastische an Wasserstoff ist, dass er absolut CO2-neutral aus Wasser über Elektrolyse – mittels Strom aus erneuerbaren Energien – zu erzeugen ist. Bei der Verbrennung von H2 entsteht in einem umweltschonenden Kreislauf wiederum Wasserdampf. Reiner Wasserstoff kann komprimiert oder verflüssigt als Treibstoff für Verbrennungsmotoren sowie auch zum Antrieb von Brennstoffzellen eingesetzt werden. Darüber hinaus ist es möglich, in einem Methanisierungsreaktor Wasserstoff mit CO2 (z.B. aus der Luft oder Abluft von Kraftwerken) in Methan umzuwandeln. Der Vorteil von Methan – also synthetischem Erdgas – ist neben der höheren Reichweite, dass für Speicherung und Transport die bestehende Infrastruktur wie Erdgaskavernen und -pipelines verwendet werden kann. In einem weiteren Schritt kann das synthetisch erzeugte Methan auch zu einem synthetischen flüssigen Kraftstoff (sog. „E-Fuels“) umgewandelt werden, der dann eine noch größere Reichweite der Fahrzeuge unter Beibehaltung des heutigen Verbrennungsmotors ermöglicht. Technisch ist das heute alles bereits realisiert, aber bis die Konzepte wettbewerbsfähig und flächendeckend umgesetzt sind, wird noch viel Zeit vergehen. Ich rechne erst 2030 damit, dass sich die genannten Technologien neben den batterieelektrischen Lösungen durchsetzen werden. Bis eine flächendeckende H2-Infrastruktur mit Tankstellen aufgebaut ist, dauert es dann vermutlich noch einmal 10 Jahre.

Stichwort Digitalisierung: Wie wirkt sich diese auf den LKW-Verkehr aus?

Die Digitalisierung bringt durch Echtzeit-Kommunikation zwischen Fahrzeugen, Leitstellen und Spediteuren große Chancen zur Verbesserung der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit im LKW-Verkehr. Voraussetzung für eine funktionierende Konnektivität ist jedoch der Ausbau des 5G-Netzes sowie eine Verbesserung von Sensorik und Rechnerleistung von OnBoard-Systemen. Dies ist auch für eine Weiterentwicklung der elektronischen Sicherheitssysteme wesentlich wie z.B. Müdigkeitsassistenten, elektronische Stabilitätsprogramme, Abbiege- und Notbremsassistenten. Diese Features sind Vorstufen für die Realisierung von autonomem Fahren, das für den LKW-Bereich sehr interessant ist. Mit Platooning z.B. können führerlose Fahrzeuge in engen Abständen elektronisch aneinander gekoppelt werden und so mit weniger Luftwiderstand fahren. Dies spart Personal- und Treibstoffkosten und ermöglicht theoretisch einen 24-Stunden-Betrieb der LKWs. Mit elektronischen Systemen können zudem Ladekapazitäten laufend kontrolliert und angepasst werden, technische Überprüfungen vollautomatisch durchgeführt und Reparaturen frühzeitig an gekündigt werden. Bis vollautonomes Fahren zu unserem Alltag gehört, wird es allerdings noch Jahre dauern. Dafür sind noch einige technische und rechtliche Hürden zu nehmen, auch ist die technische Umsetzung der sogenannten „letzten Meile“ mit autonomen LKWs noch nicht gelöst.

Sie sind seit Beginn des Jahres im Aufsichtsrat der SAG. Wie werden Sie Ihr langjähriges Know-how als Manager in der Nutzfahrzeugindustrie einbringen?

Aus meiner mehr als 30-jährigen Tätigkeit bei MAN, viele Jahre als Entwicklungschef bei den Nutzfahrzeugen und zuletzt CEO der Gruppe, kenne ich den Markt sowie alle relevanten Themen der Branche aus Herstellersicht bestens. Und ich kenne SAG aus dieser Zeit aus der Kundenperspektive. All meine Erfahrung möchte ich im Rahmen meines Mandats ins Unternehmen einbringen. SAG punktet mit Kundenorientierung und Flexibilität und hat sich als verlässlicher Sparringpartner bei der Entwicklung intelligenter Lösungen bei den OEMs etabliert. Dem Dieseltank als SAG-Hauptprodukt sage ich eine lange Zukunft voraus. Er eignet sich nämlich auch optimal für den Betrieb mit synthetischen Kraftstoffen, die den fossilen Diesel bei LKW langfristig ersetzen werden. Zusätzlich hat sich SAG mit den Entwicklungen in der Kryotanktechnologie sowie mit Rheocasting als Technologieführer sehr gut etabliert.

Generell gilt: Lightweight ist ein Riesenthema und Aluminium wird in vielen Bereichen immer wichtiger. Sehr gute Vorzeichen also für SAG, um für die kommenden Herausforderungen bestens gewappnet zu sein.

Weitere Infos über Projekte und Produkte der SAG Group unter www.sag.at.